Interview mit Helge Lindh, Deutschlandfunk, vom 21. Juli 2023
Auf den Asylrechtsvorstoß Thorsten Freis in der FAZ von Mitte Juli folgte ein oft echauffiertes mediales Echo. Prompt wurde ihm vorgeworfen, die Menschenwürde anzutasten: "Wer das Grundrecht auf Asyl antastet, greift das wichtigste aller Grundrechte an: die Menschenwürde. Und die ist unantastbar", twitterte Georg Restle, Redaktionsleiter des WDR-Magazins Monitor (Das Magazin ist jüngst durch die Vergabe von Klima-Sprachregeln aufgefallen). Die Unantastbarkeitsdebatte überlagerte schnell die eigentliche Argumentation Freis. Pathos stach Inhalt. Ein sinnfälliges Gegenbeispiel lieferte dann jedoch der Deutschlandfunk, und zwar in einem Interview mit dem SPD-Abgeordneten Helge Lindh: "Inhaltlich haben sich nicht alle mit dem Vorschlag auseinandergesetzt. Das wollen wir jetzt tun", leitete Moderator Christoph Heinemann den ein und hielt sein Versprechen.
Die journalistische Qualität des Interviews ist daran erkennbar, dass der Interviewende die Argumentationslogik des Frei-Papiers professionell-distanziert annimmt und gegen den Interviewten, Freis politischen Gegner, anwendet – und zwar stets kontrovers, aber ohne ihn überwältigen zu wollen (Beutelsbacher Konsens). Die Sachebene wird nicht verlassen. Pathos bleibt außen vor. Konsequent trägt Heinemann Freis Argumente für einen Paradigmenwechsel der Asylpolitik vor: Das humanitäre Argument der Schutzbedüftigkeit Schwächerer, die eben nicht die beschwerlichen Fluchtrouten beschreiten können; das juristische Argument der Belohnung von Rechtsbruch durch illegale Einwanderung; das politische Argument der Erpressbarkeit der EU durch bilaterale Abkommen etc. Helge Lindh hält dagegen: Den Schutz von Flüchtlingen hielte er aufgrund eines zu hohen Verwaltungsaufwandes bei Kontingentlösungen vor Ort für gefährdet, Einwanderung sei durch den Anspruch auf Prüfung eines Asylverfahrens per se nicht illegal, die Erpressbarkeit der EU solle durch beidseitige Verpflichtungen eingedämmt werden uvm. Das Interview schafft Aufklärung – frei von einseitigen, reich an zweiseitigen Bewertungen. Der Zuhörer lernt die Bandbreite von Pro, Contra und Zwischentönen.
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