Heute Journal, ZDF, vom 15. September 2023
Das Heute Journal rekapituliert die Thüringer Ereignisse tags zuvor. Dazu präsentiert Christian Sievers einen Experten: den Politikwissenschaftler Professor Karl-Rudolf Korte. Lädt der ÖRR einen Wissenschaftler in eine Nachrichtensendung ein, müsste man meinen, es geht um objektive Analysen. Der ÖRR will damit seinen Zuschauern eine Einordnung des politischen Vorgangs in Thüringen liefern, eine professionelle Einschätzung, inwiefern dieser Fall die Strategien von CDU und anderen Parteien zum Umgang mit der AfD beeinflusst und wie sich das Ganze auf die anstehenden Landtagswahlen auswirkt.
Jedoch analysiert Karl-Rudolf Korte nicht, ohne eine persönliche Bewertung gleich mitzuliefern. Der Politologe ist regelmäßig zu Gast im ÖRR. An Wahlabenden begutachtet er im Studio die Ergebnisse. Es ist aber etwas anderes, Hochrechnungen oder Wählerwanderungen zu analysieren, als eine politische Entscheidung, bei der man sehr geteilter Meinung sein darf, im Expertenstatus mit ethischen Kategorien zu bewerten. Letzteres ist keine objektive Expertise. Es ist freilich ein Meinungsbeitrag – auch wenn er von einem Wissenschaftler kommt. Das hätte Sievers anmoderieren und hinterfragen müssen.
Hier eine Auflistung der Aussagen Karl-Rudolf Kortes im ZDF-Heute Journal:
1. Bei dem erfolgreich durchgesetzten CDU-Antrag zur Senkung der Grunderwerbssteuer spricht Korte von "vergifteten Stimmen". Zu möglichen Effekten auf die kommenden Landtagswahlen befragt, bezeichnet Korte den Vorgang als „Sickergift“: Er wählt damit wiederholt eine buchstäblich toxische statt sachliche Sprache.
2. Korte stellt fest: "Einen Antrag kann man nicht mit Verfassungsfeinden stellen" und wiederholt später: Wenn im Vorfeld klar sei, dass Mehrheiten mit der AfD gelängen, könne ein solcher Antrag nicht gestellt werden. Dies ist keine Analyse, sondern, wie Politikwissenschaftler sagen, eine methodisch unzulässige Allaussage und damit wissenschaftlich unseriös.
3. Weiterhin konstatiert er, die FDP mache sich einen „schlanken Fuß“ – eine Wertung.
4. Auf die Frage, ob sich der Fall in anderen Landesparlamenten wiederholen könnte, lobt er stabile Mehrheiten in der „bunten Republik“ – wieder eine Wertung.
5. Zum bundesdeutschen Wahlverhalten meint Korte, die Wähler des Marktes wählten mittig, moderat und oft auch mittelmäßig, aber sie wählten nicht radikal. Das alles seien Umfragen, aber keine Ergebnisse. Ist es die Aufgabe eines Wissenschaftlers, Wahlentscheidungen als „mittelmäßig“ zu qualifizieren, anstatt die Bedeutung seriöser Umfragedaten zu erklären, denen zufolge die AfD die zweitstärkste Kraft ist? Lösungsideen, objektive Alternativen des Umgangs und strategische Optionen skizziert der Professor für Politikwissenschaft nicht.
6. Auf die letzte Frage, ob die Parteien eine Strategie hätten, antwortet Korte: „Sie haben eine einfache, eigentlich. Sie müssen Lösungen präsentieren.“ Sievert bedankt sich für die Expertise. Man fragt sich, für welche.
Wir fragen: Warum kennzeichnet die Redaktion den Beitrag Kortes nicht als Meinung/Kommentar? Professor Korte wertet unentwegt und von Sievert völlig unwidersprochen das Verhalten der CDU-Fraktion als falsch. Objektive Expertise ist das nicht.
Wir fordern: mindestens eine Trennung zwischen und Kennzeichnung von Meinung und Expertenbeitrag. Zudem fordern wir, dass Wahlentscheidungen und auch Umfrageergebnisse ernst genommen werden, ihre Bedeutung erklärt wird und qualifizierte Aussagen darüber erfolgen, wie damit umzugehen ist. In diesem Fall ignoriert ein eigentlich ausgewiesener Politikexperte die Tatsache, dass die AfD derzeit mit 21 Prozent zweitstärkste Kraft im Land ist [1]. Und damit delegitimiert er den geäußerten Wählerwillen.
All dies zeigt, dass der ÖRR in der Causa Thüringen nur eine Deutung zulässt: Die CDU verhält sich falsch. Die Deutung, die der ÖRR nicht zulässt: Das Verhalten der Thüringer Fraktion, ohne Furcht vor falscher Zustimmung Sachlösungen durchzusetzen, ist eine Form des legitimen Umgangs mit der AfD und könnte ein Mittel sein, die Zustimmung für die AfD zu senken, weil sich deren – in den Worten Kortes "mittelmäßige" – Sympathisanten wieder gehört fühlen. Wir erwarten vom ÖRR keine Parteinahme, sondern eine offene Darstellung von Deutungsmöglichkeiten. Oder wie es im Grundgesetz der politischen Bildung heißt: Adressaten nicht mit eigenen Meinungen zu überrumpeln – und das, was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, auch kontrovers darzustellen.
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