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Warum zensiert sich die Tagesschau selbst?

Aus angeblich „rechtlichen Gründen“ wurden in zwei Tagesschau-Ausgaben aus dem Jahr 2021 nachträglich Passagen gekürzt oder ganz weggelassen. Es ging um Empfehlungen zu Mobilitätseinschränkungen sowie Kritik an Fußballprofi Josua Kimmich und seiner Entscheidung gegen eine Corona-Impfung – jeweils durch Mitglieder des Corona-Expertenrats der Bundesregierung.



„Diese Bilder dürfen aus rechtlichen Gründen nicht gezeigt werden“: Diesen Satz kennen Tagesschauzuschauer vor allem dann, wenn es um Fußball geht. Aufgrund exklusiver Bildrechte des DFB sind etwa Meldungen zur Bundesliga allenfalls zu hören, aber nicht zu sehen. Es erscheint ein geläufiges blaues Bild.

 

In gleich zwei Fällen aus dem Jahr 2021 unterbricht die ARD jedoch auf diese Weise die eigenen Bilder. Einer davon hängt zwar am Rande mit Fußball zusammen, handelt aber nicht von Sportmeldungen. Der andere Fall hat jedoch gar nichts mit Fußball zu tun. In beiden Fällen geht es um Stellungnahmen und kritische Einlassungen von Mitgliedern des Corona-Expertenrats der Bundesregierung. Wer was gesagt hat, ist durch die Bildzensur nicht mehr nachvollziehbar. Dass die Tagesschau-Sequenzen nachträglich verändert wurden, ist im Vergleich zur jeweiligen Gebärdenversion rekonstruierbar, ansonsten gibt es dazu keine redaktionellen Hinweise. Doch was wurde verändert?

 

Fall 1: Empfehlung für enge Mobilitätseinschränkung


Im ersten Fall vom 10. Januar 2021 äußert sich Professor Dirk Brockmann, Physiker und Mitglied des damaligen Corona-Expertenrats der Bundesregierung, positiv zu einer Mobilitätseinschränkung der Bürger auf 5km Radius. Im Beitrag heißt es: „Grundsätzlich halten Experten die Bewegungseinschränkung für ein sinnvolles Instrument für die Eindämmung der Pandemie.“ Darauf sagt Brockmann: „Was wir wissen, ist, dass eine Mobilitätseinschränkungen auf […] 5 km oder noch weniger einen sehr viel größeren Effekt hat, weil dann auch sehr viel mehr Kontakte eingeschränkt werden. Denn es geht um das Einschränken der Kontakte.“ Seine Begründung: Mobilität korreliert hoch mit Risikoverhalten (=Kontakt). Diese Sequenz ist in der Gebärdenversion zu sehen[1], in der regulären Version sind die Bilder dazu weggekürzt worden[2]. Nur das blaue Standbild mit Verweis auf rechtliche Gründe ist zu sehen. Wer hier was sagt, ist daher nicht nachvollziehbar.

 

Wie sich anhand der mittlerweile veröffentlichten Beratungsprotokolle des RKI[3] herausstellte, wies der RKI-Krisenstab Brockmanns Erwägung in der Tagesschau einen Tag später als unverhältnismäßig und nicht hinreichend begründet zurück[1]. Brockmanns Name ist in den Protokollen geschwärzt, vermutlich aus Gründen des zu schützenden Persönlichkeitsrechts. Ist das auch der Grund für die nachträglich Bildkürzung in der Tagesschau? Und wenn ja: Warum wird das dem Zuschauer nicht erklärt?

 

Fall 2: Kritik an Josua Kimmichs Impfskepsis


Im zweiten Fall geht es um die Kontroverse zur Vorbildfunktion um Fußballprofi Josua Kimmich und seine öffentliche Entscheidung gegen eine Corona-Impfung, weil er Bedenken wegen fehlender Langzeitstudien habe. Das sagte Kimmich im Interview der Tagesschau vom 25. Oktober 2021 – offenbar am Rande eines Fußallspiels. Denn im Hintergrund des O-Tons sind Stadiongesänge zu hören. DFB-Bildrechte könnten hier also berührt und daher zensiert worden sein. Danach hört der Zuschauer einen Kommentar des Immunologen Carsten Watzl, der Kimmichs Zweifel zurückweist[2], sowie von Alena Buyx, der Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats. Sie sagt zwar, dass eine Impfung eine zu respektierende Privatentscheidung sei, verweist aber auf die besondere Verantwortung und Vorbildfunktion prominenter Persönlichkeiten wie Kimmich, korrekt informiert zu sein.[3] Für viele Zuschauer insinuierte das: Kimmich war nicht korrekt informiert und hätte seine Privatentscheidung nicht öffentlich machen sollen.

 

Insgesamt ist der Beitrag auf der Tonspur der regulären Tagesschau zu hören, dazu wieder das blaue Standbild[4]. Dass Carsten Watzl gesprochen hat, ist für den Zuhörer nicht nachzuvollziehen, Buyx hingegen wird wörtlich genannt. In der Gebärdensprachversion[5] ist der Beitrag komplett weggekürzt worden, nicht einmal die Tonspur wurde übersetzt. Auch hier ist das ohne redaktionellen Hinweis geschehen.

 

Wir fragen:


  • Welche rechtlichen Gründe sind es, die im Fall Brockmann zu einer Bildzensur seiner Äußerung in der regulären Tagesschau geführt haben? Und warum wird diese Zensur nicht erklärt, etwa durch einen redaktionellen Hinweis? Wer nur zuhören kann, erfährt nicht, dass der Kommentar von Brockmann stammt.


  • Selbes gilt für den Beitrag zu Kimmich: Die Interview-Situation des Fußballers am Rande eines Bundesliga-Spiels mag durch DFB-Bildrechte geschützt sein, nicht aber die Originaltöne von Buyx und Watzl. Und warum wird in diesem Fall sogar der ganze Beitrag in der Gebärdenversion der Tagesschau zensiert? Zuschauer mit Hörbehinderung sehen nichts davon.


Wir fodern:


ÖRR-Archive für Corona-Aufarbeitung unberührt lassen

Eine öffentliche Aufarbeitung der Corona-Zeit wird zunehmend gefordert, auch um für zukünftige Krisen zu lernen. Eine entsprechende Enquête-Kommission ist derzeit in Diskussion. Dafür ist es wichtig, die öffentliche Debatte aus dieser Zeit nachvollziehen zu können, gerade auch über die Archive der öffentlich-rechtlichen Medien. Auch für diese Bereitstellung zahlen die Bürger GEZ-Gebühren. Der ÖRR sollte sie daher grundsätzlich in die Lage versetzen, den (medialen) Diskurs der letzten Jahre rekonstruieren zu können.

 

Experten-Aussagen in öffentlich-rechtlichen Medien sind daher als zeitgeschichtliche Dokumente zu sehen. Sie dienen der politischen Bildung und sollten vom Zuschauer einsehbar sein. Sie sollten nicht kommentarlos im Nachhinein rausgeschnitten oder bearbeitet werden.

 

Sollte das aus rechtlichen Gründen nicht möglich sein, muss der Zuschauer zumindest transparent darüber informiert werden, dass erstens der Beitrag überhaupt gekürzt wurde und zweitens, warum er gekürzt wurde.


 


[2] Tagesschau vom 10. Januar 2021 (reguläre Version), verfügbar unter: https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/tagesschau_20_uhr/video-807661.html


[3] Covid 19-Kristenstabsprotokolle des RKI, verfügbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/C/COVID-19-Pandemie/COVID-19-Krisenstabsprotokolle.html


[4] Tagesschau vom 25. Oktober 2021 (reguläre Version), verfügbar unter: https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/tagesschau_20_uhr/video-937265.html


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